Freistetters Formelwelt: Wozu ein Teleskop ein Ruder braucht

Im Weltall gibt es keine Luft; Wind weht dort aber trotzdem. Manchmal ist er sogar so stark, dass man sich um Weltraumteleskope Sorgen machen muss.

Wenn hier auf der Erde der Wind weht, kann man das deutlich spüren. Immerhin werden dabei jede Menge Luftmoleküle bewegt, die dann gegen uns drücken. Den entsprechenden Winddruck kann man mit dieser Formel berechnen:

Dabei entspricht ρ der Dichte der Luft (angegeben in kg/m3), v ist die Windgeschwindigkeit (in m/s) und cP ist der dimensionslose Druckbeiwert, den man verwendet, um die Druckverteilung auf der angeströmten Fläche zu beschreiben. Das Ergebnis ist der Winddruck in Newton pro Quadratmeter beziehungsweise Pascal. Bei einer schwachen Brise mit einer Windgeschwindigkeit von etwa 15 Kilometer pro Stunde sieht man daher nicht nur die Bewegung von Blättern und dünnen Zweigen – so lautet die offizielle Beschreibung von Windstärke drei auf der Beaufortskala –, sondern spürt auch einen Druck von etwa zehn Pascal.

Im Weltall gibt es keine Luft – und wenn man sich dort aufhält, trägt man hoffentlich einen Raumanzug und könnte einen Wind selbst dann nicht spüren, wenn es ihn gäbe. Was es im Weltraum aber gibt, ist der Sonnenwind. Er besteht aus geladenen Teilchen, die von der Sonne ständig in alle Richtungen strömen; unser Stern verliert dadurch pro Sekunde immerhin zirka eine Million Tonnen seiner Masse. Was nach viel klingt, angesichts der Größe von Sternen und der noch größeren Größe des Sonnensystems aber nicht viel ist.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.

Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Verglichen mit anderen Sternen ist unsere Sonne kein sonderlich windiger Stern. Das heißt jedoch nicht, dass der Sonnenwind keine Auswirkungen hat. Die Teilchen sind zwar klein; der Sonnenwind besteht hauptsächlich aus Wasserstoff, ein bisschen Helium und noch weniger Atomkernen von schwereren Atomen. Aber sie sind schnell und bewegen sich auf Höhe der Erde immer noch mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern pro Sekunde. Die Dichte ist allerdings gering: Wo man auf der Erde in einem Kubikzentimeter Luft ein paar Dutzend Trillionen Moleküle bzw. Atome findet, sind es in der Umgebung der Erde typischerweise 3 bis 10 Teilchen pro Kubikzentimeter.

Das rotierende Teleskop

Das bedeutet aber nicht, dass der Sonnenwind nicht in der Lage wäre, Dinge im Weltall zu beeinflussen. Zum Beispiel das James-Webb-Weltraumteleskop, das man gleich doppelt vor der Sonne schützen muss. Die schnellen Teilchen des Sonnenwinds können das mehr als sechs Tonnen schwere Instrument zwar nicht herumschubsen, aber seine Elektronik beschädigen, die deswegen entsprechend abgeschirmt werden muss. Die Solarpanele, von denen es seine Energie bezieht, werden durch den Sonnenwind im Laufe der Zeit ebenfalls abgetragen, was über die geplante Lebenszeit von 10 bis 20 Jahren zum Glück eine geringe Rolle spielt.

Das James-Webb-Teleskop ist nicht nur schwer, sondern auch groß. Es hat einen etwa 21 mal 14 Meter großen Sonnenschild, um die Instrumente vor der Hitze der Sonnenstrahlung zu schützen. Auf diese enorme Fläche trifft nun nicht nur der Sonnenwind, sondern ebenso das Sonnenlicht. Dieses Licht hat zwar keine Ruhemasse, aber trotzdem jede Menge Energie und kann daher einen Impuls übertragen.

Das alles führt dazu, dass das Teleskop in Rotation versetzt würde, wenn man es einfach sich selbst überlässt. Das möchte man selbstverständlich vermeiden und darum wurde dem James-Webb-Weltraumteleskop eine »aft momentum flap« eingebaut. Diese Klappe wirkt ein wenig wie das Trimmruder eines Flugzeugs und sorgt dafür, dass das Teleskop nicht vom Kurs abkommt.

Ein kosmisches Äquivalent zur Beaufortskala wurde bis jetzt noch nicht definiert. Sonnenstürme gibt es aber dennoch; alle paar Jahre ist die Sonne ausnehmend aktiv und anstatt des ruhigen Stroms an Teilchen kann auf einen Schlag jede Menge Material ins All hinausgeschleudert werden. Sollte ein besonders extremer Teilchensturm auf das James-Webb-Teleskop treffen, dann wird es damit genauso zu kämpfen haben wie ein Segelschiff bei einem Orkan auf hoher See.

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