Ukraine-Krieg: Höhere Preise für Europa, Hunger für Afrika

Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine droht Millionen von Menschen eine Hungersnot. Doch während die Getreidereserven schrumpfen und die Preise steigen, werden in Europa auf zwei Dritteln der Agrarflächen gar keine Lebensmittel angebaut.

Das schwarze Gold der Ukraine ist nicht flüssig. Es ist feucht, sattdunkel und schwer: Schwarzerde. Das zweitgrößte Land Europas ist gesegnet mit diesen vom Humus dunkel gefärbten Böden. Sie machen die Ukraine zum fruchtbarsten Agrarland der Erde und zur Kornkammer Europas. Doch damit nicht genug.

Die Ukraine produziert nicht nur viel Getreide, sie verbraucht auch nur wenig davon selbst: Wegen seiner riesigen Anbauflächen bei gleichzeitig geringer Bevölkerungsdichte kann das Land einen sehr großen Teil seiner Ernten verkaufen – nicht nur nach Europa, sondern auch in die armen Regionen der Erde. Gemeinsam mit Russland stellt die Ukraine etwa beim für die Lebensmittelproduktion besonders wichtigen Weizen knapp ein Drittel des gesamten Angebots auf dem Weltmarkt.

Genau diese Dominanz wird nun zum Problem. Denn seit dem Angriff Russlands auf seinen Nachbarn schießen die Getreidepreise auf dem Weltmarkt in die Höhe. Nichts hassen Märkte mehr als Instabilität und Unsicherheit. Und die gibt es in der kriegserschütterten Ukraine gerade buchstäblich an allen Fronten: Der Aussaattermin für das Sommergetreide steht bevor. Doch ob die Bauern dazu auf die Felder können, ob sie überhaupt Treibstoff für ihre Geräte, Dünger für die Saaten haben werden – völlig ungewiss. Ebenso offen ist die Frage, ob sie im Frühsommer die Ernte des bereits vor dem Krieg eingesäten Wintergetreides einfahren können und ob – selbst wenn dies gelingen würde – Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumen überhaupt zu den Häfen am Schwarzen Meer transportiert, dort verladen und verschifft werden können.

»Seit dem Ende des Kommunismus ist in der Ukraine eine erstklassige Agrarinfrastruktur aufgebaut worden«(Sebastian Lakner, Agrarökonom)

»Auch mit Geldern der Weltbank ist seit dem Ende des Kommunismus in der Ukraine eine erstklassige Agrarinfrastruktur aufgebaut worden«, sagt der Rostocker Agrarökonom Sebastian Lakner. Ineffektive Sowjetgenossenschaften seien in modern gemanagte und hochtechnologisch ausgerüstete Agrarunternehmen umgebaut worden. Das Straßennetz zu den Verladehäfen sei ebenfalls auf europäischen Topstandard ausgebaut worden. Was daraus geworden ist oder bei einem weiter anhaltenden Krieg noch wird, lassen die Bilder aus dem Land erahnen. Fast alle Kriegsschwerpunkte liegen in den besonders ertragreichen Regionen des Landes, die sich in einem breiten Gürtel von West nach Ost erstrecken.

Die Krise könnte sich noch deutlich verschärfen

Die katastrophale Situation spiegelt sich im Weizenpreis. 2020 lag er unter 200 Euro pro Tonne, im letzten Jahr schon deutlich darüber – aktuell hat er sogar die 400-Euro-Marke überschritten. Und das, ohne dass es nach zwei Wochen Krieg bislang vielerorts überhaupt zu wirklichen Engpässen kommen konnte. Die Krise könnte sich in den kommenden für die Produktion entscheidenden Wochen und Monaten also noch deutlich verschärfen. »Jede ernsthafte Unterbrechung der Produktion und der Exporte aus der Region könnte die Lebensmittelpreise über ihr derzeitiges Zehn-Jahres-Hoch treiben«, warnt auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP).

Die Folgen der galoppierenden Preise bekommen besonders die Länder zu spüren, die fast vollständig auf Importe aus der Ukraine angewiesen sind und die gleichzeitig besonders anfällig sind, weil sie kein Geld für prall gefüllte Reservespeicher haben wie die europäischen Staaten: Lakner sieht die Maghreb-Staaten, Länder des Nahen und Mittleren Ostens und ostafrikanische Staaten wie Eritrea, Äthiopien, Jemen und Kenia besonders gefährdet. In diesen Ländern stehen die Menschen bereits wegen der Lebensmittelinflation ohnehin unter massivem Druck, und einige beziehen bis zu 40 Prozent ihres Weizens aus der Ukraine. Besonders heikel könne es dort werden, wo die staatliche Ordnung ohnehin nicht funktioniere, warnt Lakner. Dort könne jeder weitere Funke zur sozialen Explosion führen – beispielsweise im Libanon, einem der am stärksten von Lieferungen aus der Ukraine abhängigen Staat.

Viele Menschen in den armen Ländern müssten bereits jetzt 80 Prozent ihres Gesamteinkommens für Nahrungsmittel aufwenden, sagt auch Christine Chemnitz, Agrarpolitik-Expertin bei der den Grünen nahe Heinrich-Böll-Stiftung. »Ihre einzige Anpassungsstrategie an weiter steigende Preise ist, weniger zu essen.«

Auch das UN-Welternährungsprogramm zeigt sich hoch alarmiert und sieht Millionen Menschen durch den Krieg akut von Hunger bedroht. »Die Kugeln und Bomben in der Ukraine könnten die globale Hungerkrise auf ein Niveau heben, das wir noch nie zuvor gesehen haben«, sagte der Exekutivdirektor des WFP David Beasley Anfang der Woche bei einem Besuch im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet.

In Europa steigen vor allem die Preise

Die Hungerkrise trifft dabei auf eine ohnehin extrem angespannte Ernährungslage in vielen Ländern. Schon die Corona-Pandemie habe 180 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger getrieben, erinnert Agrarexpertin Chemnitz. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze sagte vor wenigen Tagen, weitere 8 bis 13 Millionen Menschen könnten durch den Krieg in den Hunger getrieben werden.

In Europa sind die Folgen des Krieges bisher vor allem an den Tankstellen sichtbar, mit den nächsten Abrechnungen der Versorger für Gas und Strom wird es für die Bürgerinnen und Bürger weitere böse Überraschungen geben. Die Nahrungsmittelversorgung ist aber nicht in Gefahr, sind sich Experten und Politik einig. »Die EU hat in vielen Bereichen der Agrarproduktion einen Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent, so dass wir bei einigen Agrargütern Nettoexporteur sind , sagt Agrarökonom Lakner. Auch die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium Ophelia Nick beruhigt. »Es gibt bei uns nicht zu wenig Nahrung, wir haben gut gefüllte Speicher«, betont die Grünen-Politikerin, die gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir gerade eine Dringlichkeitssitzung der G7-Landwirtschaftsminister vorbereitet. »Was uns dagegen große Sorgen macht, sind die Preissteigerungen.«

Die spürbare Verteuerung vieler Güter als Folge des Konflikts wird sich sich in Deutschland nach Einschätzung von Experten weiter verschärfen. »Es ist mit höheren Lebensmittelpreisen zu rechnen, und diese gehen leider einher mit höheren Energiepreisen«, glaubt Lakner. Der Göttinger Agrarpolitik-Experte Stephan von Cramon-Taubadel rechnet auch deshalb mit weiter steigenden Preisen für Lebensmittel, »weil Getreide als Grundnahrungsmittel und als Futtermittel für die Viehzucht – und damit für Milch- und Fleischproduktion – wichtig ist«. Allerdings gäben die Menschen hier zu Lande im Schnitt nur 14 bis 15 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aus, so dass die meisten Haushalte damit zurechtkommen könnten. Für einkommensschwächere Gruppen regen die Experten eine sozialpolitische Abfederung an.

Raus aus der Abhängigkeit

»Bei uns werden die Brötchen ein bisschen teurer, andere werden ihr Leben verlieren, weil Nahrungsmittel fehlen werden«, bringt der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament Martin Häusling die sehr unterschiedliche Lage in den einzelnen Weltregionen auf den Punkt. Er fordert, dass die EU nun in die Bresche springt und den Anteil der Getreidelieferungen an die armen Staaten übernimmt, der aus der Ukraine ausfällt.

Mit dem Krieg in der Ukraine und der Suche nach langfristigen Lösungen für eine sichere Nahrungsmittelversorgung rückt auch die große Abhängigkeit der europäischen Landwirtschaft von den beiden Krieg führenden Staaten und dem nicht als zuverlässig eingeschätzten Russlandverbündeten Belarus in den Blickpunkt der politische Debatte. »Bei der Energiepolitik haben wir gemerkt, dass wir uns von russischem Gas unabhängig machen müssen, im Agrarbereich fangen wir erst jetzt an, überhaupt darüber zu diskutieren«, sagt Häusling. Dabei sei die Abhängigkeit dort noch deutlich größer. So seien Deutschland und die EU beispielsweise bei den für die Produktion entscheidenden Düngemitteln zu 80 Prozent von ausländischen Lieferungen, vor allem aus Belarus und Russland, abhängig.

»Bei uns werden die Brötchen ein bisschen teurer, andere werden ihr Leben verlieren, weil Nahrungsmittel fehlen werden«(Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament)

Weniger Fleisch, keine Lebensmittel als Treibstoff und ein Ende der Lebensmittelverschwendung: So lässt sich der Dreiklang aus Maßnahmen zusammenfassen, den Experten vorschlagen, um die Versorgungssicherheit langfristig sicherzustellen.

Das größte Problem ist Fleisch

Das größte Potenzial liegt dabei längerfristig in der Fleischproduktion. Denn von den 43 Millionen Tonnen Getreide, die in jedem Jahr in Deutschland geerntet werden, werden nur 8,6 Millionen Tonnen oder 20 Prozent für die Nahrungsmittelproduktion verwendet. Knapp 9 Prozent gehen in die Treibstoff- oder Energieerzeugung als so genannter Biosprit, und der Löwenanteil von knapp 60 Prozent – je nach Berechnungsweise sogar 70 Prozent der gesamten Getreideernte – werden als Futtermittel vor allem zur Fleischproduktion verwendet. Damit liegt Deutschland sogar über dem weltweiten Durchschnitt von knapp 50 Prozent.

»Wir verfüttern einfach sehr viel dessen, was der menschlichen Ernährung dienen könnte, zur Herstellung eines Luxusprodukts«, sagt Lakner. Es gehe nicht darum, gar kein Fleisch mehr zu produzieren, und die Entscheidung liege bei jedem Verbraucher und jeder Verbraucherin, betont der Agrarforscher. »Aber wenn Menschen in Afrika Hunger leiden, sollten wir uns überlegen, ob wir jeden Tag Fleisch essen müssen oder ob es auch mal ein vegetarischer Tag tut.«

Auch EU-Politiker Häusling sieht hier den wichtigsten Hebel. »Die EU hat sich zur Fleischtheke der Welt entwickelt – das ist ein Luxus, den wir uns langfristig nicht leisten können«, sagt er. Der Politiker sieht jeden einzelnen Verbraucher und den Lebensmittelhandel in der Pflicht. »Wir schmeißen 30 Prozent der Lebensmittel in den Müll«, sagt er. Einer Studie zufolge wirft jeder Verbraucher in Deutschland im Schnitt pro Jahr 75 Kilogramm Lebensmittel weg, insgesamt landen 12 Millionen Tonnen im Müll.

Angriff auf Natur- und Klimaschutz

Nach Einschätzung vieler Experten kurzfristig am einfachsten umzusetzen, ist der Verzicht auf die Beimischung von Lebensmitteln in die Treibstoffe. »Erhebliche Mengen an Getreide und Mais könnten für den Weltmarkt freigesetzt werden, wenn wir die Beimischungspflicht für Kraftstoffe kurzfristig aufheben«, fordert Lakner. »Die G7 oder die EU könnten sofort beschließen, die Beimischung auszusetzen, dann hätten wir einen Teil des zu erwartenden Ausfalls aus der Ukraine schon kompensiert.« Der Verzicht auf Biosprit gilt auch aus Gründen des Biodiversitätsschutzes als zentrale Maßnahme.

Auf politischer Ebene scheint der Zug derzeit aber eher in die entgegengesetzte Richtung zu fahren. Angeführt vom französischen Landwirtschaftsminister Julien Denormandie und unterstützt vom europäischen Bauernverband werden die Forderungen lauter, als Konsequenz aus dem Krieg die zaghaften ökologischen Reformen auszusetzen, die die EU-Kommission als Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise eingeleitet hat: Mit ihrem Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie plant die Kommission unter anderem eine Halbierung des Pestizidverbrauchs und eine deutliche Verringerung der Verwendung von Düngemitteln.

Besonders unter Beschuss steht die gerade erst beschlossene neue Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die vorsieht, ab kommendem Jahr vier Prozent der Äcker in der EU als Refugien für Natur- und Klimaschutz ungenutzt zu lassen. Das Argument der Gegner dieser aus ökologischer Sicht eher bescheidenen Reformen lautet, dass diese Flächen dann nicht mehr für die Lebensmittelerzeugung zur Verfügung stünden. »Solange wir nicht über 70 Prozent der Fläche für Fleisch sprechen, ist es absurd, diese vier Prozent in den Mittelpunkt zu rücken«, kontert Häusling.

Die deutsche Bundesregierung scheint bislang Kurs zu halten. Selbst wenn der Krieg um die Ukraine gerade zu Recht im Mittelpunkt der Debatte stehe, dürften die Klima- und Naturkrise nicht aus dem Blick geraten, warnt Agrarstaatssekretärin Nick. Denn auch sie hätten – wie auch der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC zeige – große Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung auf dem Planeten, betont sie mit Blick auf die zunehmenden Dürren und Extremwettereignisse. »Die EU-Konzepte sind gut, tragfähig und richtig«, versichert sie. Daran werde nicht gerüttelt.

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