Gravitation: Jenseits von Einsteins Theorie

Die allgemeine Relativitätstheorie ist bis heute das Beste, was wir haben, um Phänomene der Gravitation zu beschreiben. Albert Einstein begründete diese Theorie mit ihrer zentralen Feldgleichung im Jahr 1915. Welche Rolle spielt die im Jahr 1917 hinzugefügte kosmologische Konstante? Muss Einsteins Jahrhundertwerk überarbeitet werden? Und wenn ja, in welcher Hinsicht?

Wir befinden uns in einem Boot auf einem See. Es ist windstill, und der Spiegel des Sees ist ganz glatt. Von einem weit überhängenden Zweig eines Baums am Ufer fällt eine Nuss ins Wasser. Von dem Punkt, an dem die Nuss die Wasseroberfläche berührt hat, geht eine kreisförmige Welle aus. Wir fotografieren diese Welle in schneller Folge.

Wenn wir die Bilder so übereinanderlegen, dass spätere auf früheren liegen, bilden die Kreise aller Bilder zusammengenommen einen Kegel, dessen Spitze im untersten Bild liegt. Die Spitze markiert das Ereignis, als die fallende Nuss die Wasseroberfläche traf. Die Welle markiert diejenigen Punkte auf der Wasseroberfläche, die gerade von diesem Ereignis Kenntnis erhalten. Der Kegel fasst alle Punkte zusammen, bei denen diese Kenntnis jemals ankommt.

Denken wir uns die Situation nun bei Nacht und das Ereignis ersetzt durch einen Lichtblitz. Hätten wir sehr schnelle Augen, wäre die Lichtgeschwindigkeit viel kleiner, als sie tatsächlich ist, oder könnten wir in sehr schneller Folge fotografieren, könnten wir festhalten, wie sich der Lichtblitz wie eine Kugelschale mit wachsendem Radius ausbreitet. Während diese Kugelschalen immer größer werden, bleibt ihr Mittelpunkt am selben Ort.

Ziehen wir diese Kugelschalen auseinander, indem wir sie entlang einer senkrechten Zeitachse anordnen, größere und spätere über kleineren und früheren, und alle diese Kugelschalen mit Papier einhüllen, bildet dieses Papier ebenfalls einen Kegel, dessen Spitze auf der Zeitachse an dem Punkt liegt, an dem der Lichtblitz ausgelöst wurde. Dieser Kegel wird als Lichtkegel bezeichnet (siehe »Der Lichtkegel«). Er enthält alle Punkte, die im Lauf der Zeit von einem Ereignis Kenntnis bekommen können, was die Spitze des Lichtkegels markiert. Die räumliche Ausdehnung des Lichtkegels nimmt mit der Zeit mit Lichtgeschwindigkeit zu.

Albert Einstein schuf im Jahr 1905 die spezielle Relativitätstheorie, in der die Lichtgeschwindigkeit eine zentrale Größe einnimmt. Diese Theorie revolutionierte unser Verständnis von Raum, Zeit, Masse und Energie. Die drei Raumdimensionen Länge, Breite und Höhe verschmolzen mit der Zeit zu einer Einheit: der vierdimensionalen Raumzeit. Die Lichtgeschwindigkeit ist eine absolute Größe und hat in allen Bezugssystemen denselben, konstanten Wert. Mit diesem Ansatz hatte Einstein einen Widerspruch zwischen der klassischen Mechanik nach Isaac Newton (1643–1727) und der klassischen Elektrodynamik von James Clerk Maxwell (1831–1879) aufgelöst. Während die klassische Mechanik besagt, dass Geschwindigkeiten relativ seien und beliebig addiert werden könnten, stellt die Elektrodynamik fest, dass es mit der Lichtgeschwindigkeit ein universelles Tempolimit gibt.

Einstein löste diesen Widerspruch auf, indem er die Relativität der Geschwindigkeiten in der klassischen Mechanik so verallgemeinerte, dass die Summe zweier Geschwindigkeiten die Lichtgeschwindigkeit nie übersteigen kann. Die Galilei-Transformationen der klassischen Mechanik wurden durch die Lorentz-Transformationen ersetzt. Im Vakuum pflanzt sich Licht mit fast 300 000 Kilometern pro Sekunde fort, was etwa einer Milliarde Kilometern pro Stunde entspricht.

Abstände sind relativ: Zwei Ereignisse, die für einen Beobachter gleichzeitig geschehen und die für ihn nur einen rein räumlichen Abstand haben, mag ein anderer Beobachter in einem gewissen zeitlichen Abstand und mit einem anderen räumlichen Abstand wahrnehmen. Um die Abstände zwischen Ereignissen wieder so messen zu können, dass diese vom Bewegungszustand desjenigen unabhängig sind, der sie misst, müssen aus separaten räumlichen und zeitlichen Abständen kombinierte raumzeitliche Abstände werden.

Die Art, wie wir Abstände messen, wird durch eine Metrik beschrieben. Im 3-D-Raum entspricht diese Metrik der zweifachen Anwendung des Satzes des Pythagoras: Abstände in den drei verschiedenen Raumrichtungen werden quadriert und aufsummiert: Das Ergebnis ist das Quadrat des gesamten Abstands (siehe »Metrik und Abstand«). Die 4-D-Raumzeit der speziellen Relativitätstheorie erfordert eine andere Metrik. Hier werden Abstände so gemessen, dass sie in den drei verschiedenen Raumrichtungen nach wie vor quadriert und aufsummiert werden, der Abstand in zeitlicher Richtung aber quadriert und abgezogen wird. Damit der zeitliche Abstand ebenso wie die räumlichen Abstände die Bedeutung einer Länge bekommt, multipliziert man ihn mit der Lichtgeschwindigkeit. Diese Metrik, die zeitliche Abstände quadriert und vom Quadrat des räumlichen Abstands abzieht, wird als Minkowski-Metrik bezeichnet. Namensgeber war Einsteins ehemaliger Lehrer, Hermann Minkowski (1864–1909), der seinerzeit die kompakte Schreibweise für vierdimensionale Vektoren von Henri Poincaré übernahm und weiterentwickelte.

Mit dem Äquivalenzprinzip zur Gravitationstheorie

Bis zum Jahr 1915 vollzog Einstein mit Hilfe seines Freundes Marcel Grossmann und anderer den Übergang zur allgemeinen Relativitätstheorie (siehe »Freund und Helfer«). Die fundamentale Erkenntnis, die Einstein dieser Theorie zu Grunde legte, ist diejenige, dass Körper im freien Fall keine Schwerkraft mehr spüren. Diese Einsicht, die Einstein als den glücklichsten Gedanken seines Lebens bezeichnete und die er mit der allgemeinen Relativitätstheorie zum Prinzip erhob, wird als Äquivalenzprinzip bezeichnet: Beschleunigung und Gravitation sind äquivalent. Stehe ich in einem fensterlosen Fahrstuhl, der im schwerelosen Raum konstant nach oben beschleunigt wird, kann ich diese Situation nicht von derjenigen unterscheiden, in welcher der Fahrstuhl in einem Schwerefeld ruht (siehe »Einstein im Fahrstuhl«). Deswegen muss die allgemeine Relativitätstheorie für alle solchen Beobachter in die spezielle Relativitätstheorie übergehen, die in einem Gravitationsfeld frei fallen. Jede frei fallende Beobachterin muss daher, wenn sie die Ausbreitung von Licht in ihrer Umgebung untersucht, den Lichtkegel feststellen können, wie ihn die Minkowski-Metrik beschreibt.

Wegen des Äquivalenzprinzips kann die Schwerkraft keine absolute Bedeutung mehr haben: Lasse ich mich frei fallen, spüre ich sie nicht mehr. Welcher Aspekt der Gravitation hat dann noch einen absoluten Sinn? Um ihn zu identifizieren, muss man zwei verschiedene frei fallende Beobachter betrachten: Sie werden sich aufeinander zu- oder voneinander wegbewegen. Nicht die Schwerkraft selbst, der ein einzelner Beobachter ausgesetzt ist, behält also einen absoluten Sinn, sondern der Unterschied der Schwerkräfte zwischen zwei benachbarten Beobachtern. Dieser Unterschied wird als Gezeitenkraft bezeichnet. Sie beschleunigt die beiden Beobachter relativ zueinander und sorgt dafür, dass sich ihr gegenseitiger Abstand im freien Fall vergrößert oder verringert.

Von diesem Befund geht die allgemeine Relativitätstheorie aus: Jeder frei fallende Beobachter muss für sich den Lichtkegel bestätigen können, der in der speziellen Relativitätstheorie gilt. Zwei nebeneinander frei fallende Beobachter werden aber durch die Gezeitenkraft aufeinander zu oder voneinander weg beschleunigt. Die Lichtkegel, die jeder Beobachter für sich feststellt, können daher nicht dieselben sein: Um den Lichtkegel des einen Beobachters in denjenigen des anderen zu überführen, muss er wenigstens etwas gekippt, vielleicht aber auch verformt werden. Um dies zum Ausdruck bringen zu können, muss die Minkowski-Metrik der speziellen Relativitätstheorie durch eine flexiblere Metrik ersetzt werden, die sich von einem frei fallenden Beobachter zu einem benachbarten verändern kann. Sie muss vom Ort im Raum abhängen dürfen, und weil die Relativitätstheorie Raum und Zeit verbindet, darf die Metrik dann auch von der Zeit abhängen. Damit wird die Metrik zu einem dynamischen Feld, einem im Allgemeinen orts- und zeitabhängigen Gebilde.

Das Äquivalenzprinzip nimmt der Schwerkraft ihre Bedeutung, denn frei fallende Beobachter nehmen sie gar nicht wahr. Die Bedeutung der Gravitation wird auf die Gezeitenkraft verschoben: Sie beschleunigt frei fallende Beobachter relativ zueinander und verringert oder vergrößert damit deren Abstand mit der Zeit. Die Spur, die ein Beobachter in der Raumzeit hinterlässt, wird als seine Weltlinie bezeichnet. Die Gezeitenkraft krümmt die Weltlinien frei fallender Beobachter aufeinander zu oder voneinander weg. Diese Krümmung wird dadurch zum entscheidenden Ausdruck der Gravitation. Sie gibt auch an, wie sich der Lichtkegel des einen frei fallenden Beobachters in denjenigen eines benachbarten Beobachters überführen lässt.

Der allgemeinen Relativitätstheorie liegen demnach drei wesentliche Gedanken zu Grunde: (1) Frei fallende Beobachter müssen den Lichtkegel bestätigen können, den die spezielle Relativitätstheorie verlangt. Für sie und ihre engere Umgebung muss die Minkowski-Metrik gelten. (2) Benachbarte, frei fallende Beobachter werden aufeinander zu oder voneinander weg beschleunigt. Ihre Weltlinien sind gegeneinander verkrümmt, und ihre Lichtkegel sind gegeneinander verkippt. (3) Die Minkowski-Metrik muss deswegen durch eine flexiblere Metrik ersetzt werden, welche die Krümmung zum Ausdruck bringt, und die sich als Gezeitenkraft äußert.

Gekrümmte Raumzeit

Krümmung wird beschrieben, indem man Vektoren auf geschlossenen Wegen durch die Raumzeit schiebt und feststellt, ob sie verändert zurückkommen. Nehmen Sie vielleicht einen Globus und einen Bleistift in die Hand. Der Bleistift stellt einen Vektor dar. Legen Sie den Bleistift am Nordpol tangential an den Globus an. Verschieben Sie ihn nun längs irgendeines Längenkreises (Meridian) zum Äquator. Danach verschieben Sie den Bleistift längs des Äquators ein Stück nach Osten oder Westen und beachten dabei, dass der Bleistift tangential zum Globus bleiben muss. Dann verschieben Sie den Bleistift wieder längs eines Meridians zum Nordpol zurück. Wenn er dort ankommt, wird er in eine andere Richtung als zu Beginn seines Weges zeigen. Der Unterschied zwischen den Richtungen zu Beginn und am Ende des Weges ist ein Maß für die Krümmung des Globus. Dass der Bleistift während des gesamten Weges tangential zum Globus verschoben werden muss, drückt aus, dass er die Oberfläche des Globus während der Verschiebung nicht verlassen darf.

Genau diese Operation, die kennzeichnet, wie sich ein Vektor verändert, wenn man ihn längs eines geschlossenen Weges durch die Raumzeit verschiebt, wird mathematisch durch den so genannten Krümmungstensor ausgedrückt. Der Krümmungstensor ist ein kompliziertes Gebilde. Man kann ihn in einem ersten Schritt zum Ricci-Tensor vereinfachen, in einem zweiten zum Ricci-Skalar. Der Ricci-Skalar ordnet jedem Punkt der Raumzeit einen einzelnen Zahlenwert zu, der die lokale Krümmung der Raumzeit an diesem Punkt kennzeichnet.

»Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher«(Albert Einstein zugeschriebener Aphorismus)

Wie baut man nun auf der Metrik und dem Ricci-Skalar eine physikalische Theorie auf? Allen modernen, fundamentalen Theorien der Physik liegt dasselbe Prinzip zu Grunde, das als Wirkungsprinzip bezeichnet wird. Es ging zunächst aus der geometrischen Optik hervor, wurde dann als Grundlage der Mechanik identifiziert und schließlich auf die gesamte fundamentale Physik erweitert. Es besagt, dass physikalische Vorgänge so verlaufen, dass ihre Wirkung möglichst groß oder möglichst klein, also extremal wird.

Mathematisch gesehen ist die Wirkung ein Funktional. Während Funktionen bestimmten Zahlen andere Zahlen zuordnen, ordnen Funktionale bestimmten Funktionen Zahlen zu. Hat man die Wirkung beziehungsweise das Wirkungsfunktional einer physikalischen Theorie festgelegt, können die Grundgleichungen und Auswirkungen der Theorie nach einem vorgegebenen Verfahren abgeleitet werden. Neue Theorien werden aufgestellt, indem man eine neue Form des Wirkungsfunktionals vorschlägt. Dessen Auswirkungen müssen dann ausgearbeitet und mit der beobachtbaren Wirklichkeit verglichen werden, um zu sehen, ob die Theorie Bestand haben kann.

Vom Funktional zur Feldgleichung

So kann man auch die allgemeine Relativitätstheorie begründen. Ihr Wirkungsfunktional ist das einfachste mögliche, das den Ricci-Skalar enthält. Würde man die Massendichte der Materie über den gesamten Raum integrieren, bekäme man die gesamte Masse der Materie, die dieser Raum enthält. Indem man den Ricci-Skalar über die gesamte Raumzeit integriert, erhält man gewissermaßen deren gesamten Krümmungsinhalt (siehe »Die Einstein-Hilbert-Wirkung«). Addiert man zu diesem Wirkungsfunktional nun noch dasjenige der Materie, die in der Raumzeit enthalten sein soll, ist das Wirkungsfunktional der allgemeinen Relativitätstheorie schon fertig.

Die Einstein-Hilbert-Wirkung

Die Wirkung S ist ein vierdimensionales Volumenintegral (d4x), gewissermaßen eine »Summe«, über den Ricci-Skalar R. Der Vorfaktor enthält die Vakuumlichtgeschwindigkeit c und die newtonsche Gravitationskonstante GN. Die Determinante der Metrik g unter der Wurzel sorgt dafür, dass dieses Integral unabhängig vom willkürlich gewählten Koordinatensystem wird. Eine Theorie kann über dieses Wirkungsfunktional S oder die Feldgleichung definiert werden, aber es gibt eine so genannte Eichfreiheit, die einen gewissen Spielraum lässt.

\[ S_{\text{Einstein-Hilbert}} = \frac{c^4}{16\pi G_N} \int \sqrt{|\text{det} g|} R d^4x \]

Standardisierte mathematische Verfahren erlauben es dann, aus diesem Wirkungsfunktional die Grundgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie abzuleiten – die berühmten einsteinschen Feldgleichungen. In diesem Sinne stellt die allgemeine Relativitätstheorie die einfachste metrische Gravitationstheorie dar: Sie ist eine metrische Theorie, weil sie die Gravitation durch die Metrik der Raumzeit beschreibt, und sie ist die einfachste, weil ihr Wirkungsfunktional auf die einfachste mögliche Weise aus raumzeitlicher Krümmung und der Materie aufgebaut ist, die in dieser Raumzeit enthalten ist. Es gehört zu den überzeugendsten Eigenschaften der allgemeinen Relativitätstheorie, dass sie mit allen bisherigen Beobachtungen der Gravitation in Einklang steht, obwohl sie auf so einfache Weise konstruiert werden kann. Die einsteinschen Feldgleichungen sind kompliziert, keine Frage, die Konstruktion der Theorie, ausgedrückt durch ihre Wirkung, ist dennoch so einfach wie nur möglich.

Einsteins Feldgleichung der Gravitation

Es kostete Einstein rund zehn Jahre, die spezielle Relativitätstheorie zu einer umfassenden Theorie zu verallgemeinern. Zentrale Gleichung seiner allgemeinen Relativitätstheorie ist die Feldgleichung. Ihre fundamentale Aussage ist: »Materie und Energie sagen, wie sich die Raumzeit zu krümmen hat. Und die gekrümmte Raumzeit gibt vor, wie sich Materie und Strahlung zu bewegen haben.« In der Formel treten der Einstein-Tensor G, die Metrik g, der Energie-Impuls-Tensor T und die kosmologische Konstante Λ (Lambda) auf:

\[ G_{\mu \nu} – \Lambda g_{\mu \nu} = \frac{8\pi G_N}{c^4} T_{\mu \nu} \]

Der Einstein-Tensor enthält die Krümmung der Raumzeit in Gestalt des Ricci-Tensors und des Ricci-Skalars. Der Energie-Impuls-Tensor macht eine Aussage über die Energieform, die Quelle der Gravitation ist. Dies kann zum Beispiel eine Flüssigkeit oder ein elektromagnetisches Feld sein. Im Vakuum gilt T = 0. Die Indizes m und n laufen über die Zahlen 0, 1, 2 und 3, so dass wir es hier eigentlich mit 16 Gleichungen zu tun haben. Die Symmetrie der Tensoren reduziert die Zahl auf zehn Gleichungen.

Die Feldgleichung hat alles, was Laien ehrfürchtig erschaudern lässt: Es ist ein Satz von zehn nichtlinearen, partiellen gekoppelten Differenzialgleichungen. Ein allgemeines Lösungsverfahren kann man dafür nicht angeben, nur spezielle Lösungen. Dazu gehören die Schwarzschild-Lösung, die Punktmassen im Vakuum relativistisch beschreibt, und die Friedmann-Lemaître-Robertson-Walker-Lösung, welche dem kosmologischen Weltmodell zu Grunde liegt.

Gravitation am Limit

Dennoch bleiben Zweifel, die vor allem durch Kosmologie und Schwarze Löcher genährt werden. Mit dem Blick auf beide sagt die allgemeine Relativitätstheorie ihre eigenen Grenzen voraus: Das kosmologische Standardmodell, das wesentlich auf der allgemeinen Relativitätstheorie beruht, kommt ohne einen Urknall nicht aus, aber im Urknall selbst ist die Theorie nicht mehr anwendbar. Die allgemeine Relativitätstheorie prognostiziert unter sehr allgemeinen Voraussetzungen, dass es Schwarze Löcher geben muss, und scheitert in deren Zentrum, der Singularität.

Die Existenz Schwarzer Löcher gilt inzwischen auf Grund zahlreicher Beobachtungen als erwiesen. So sind ihre zentralen Singularitäten verträglich mit beobachteten Gravitationswellen von kollidierten Schwarzen Löchern. Jüngst gab es sogar einen Physik-Nobelpreis für die Vorhersage und den Nachweis Schwarzer Löcher. Im April 2019 wurde das erste Radiobild des extrem massereichen Schwarzen Lochs in der elliptischen Galaxie Messier M 87 veröffentlicht. Auch für die in den 1960er Jahren als Lösung der einsteinschen Feldgleichung gefundenen rotierenden Schwarzen Löcher gibt es starke Hinweise in astronomischen Beobachtungen.

Das kosmologische Standardmodell, das auf der allgemeinen Relativitätstheorie fußt, benötigt zusätzlich zwei unbekannte Zutaten, um mit zahlreichen Beobachtungen in Einklang zu kommen. Wir bezeichnen sie als Dunkle Materie und Dunkle Energie, weil wir sie nicht vollständig verstehen. Kurz gesagt benötigen wir die Dunkle Materie, um die heute beobachtbaren kosmischen Strukturen auf diejenigen im jungen Universum zurückzuführen (siehe »Der Bullet-Cluster«). Astronomische Beobachtungen legen nahe, dass Dunkle Materie etwa fünfmal häufiger im heutigen Universum vorkommt als gewöhnliche Materie.

Dunkle Energie ist hingegen substanzlos, falls sie nicht durch ein Quantenfeld beschrieben wird. In der theoretischen Kosmologie werden unterschiedliche Formen diskutiert. Ein Modell mit einer zeitlich variablen Dunklen Energie ist die Quintessenz. Sie kann auf der Grundlage von Beobachtungen nach wie vor nicht ausgeschlossen werden, unterliegt mittlerweile allerdings strengen Einschränkungen. Weil jedoch bisher keine zeitliche Entwicklung der Dunklen Energie beobachtet wurde, ist die kosmologische Konstante nach wie vor die einfachste Möglichkeit. Sie führt auf ein Verhalten unseres Universums, das auch in unabhängigen astronomischen Beobachtungen bestätigt wurde: Es dehnt sich in der späten Entwicklungsphase beschleunigt aus.

Oft wird behauptet, die Forschenden in der Kosmologie postulierten nur deswegen die Existenz der Dunklen Materie und der Dunklen Energie, weil sie gar nicht mehr nach Alternativen zur allgemeinen Relativitätstheorie suchten. Sie hätten als Teil ihrer Ausbildung eine »Gehirnwäsche« erfahren, die sie gar nicht mehr über Einsteins Theorien hinausdenken lasse. Diese Behauptung ist vollkommen falsch und drückt nur die vollständige Unkenntnis derjenigen aus, die sie wiederholen. Im Gegenteil werden alternative, verallgemeinerte Theorien mit größter Anstrengung gesucht. Diese Suche unterliegt aber strengen Voraussetzungen, die nicht aus physikalischem Vorurteil, sondern aus mathematischen Notwendigkeiten und Beobachtungen, also empirischer Evidenz kommen. Wir möchten ja die Natur beschreiben, und jede Theorie muss sich an ihr messen lassen.

Auf eine der wichtigsten dieser Notwendigkeiten führt uns die Dunkle Energie. Die einfachste Form der Dunklen Energie ist die kosmologische Konstante (Lambda, Λ), die Einstein im Jahr 1917 in die Theorie einführte. Seine Motivation bestand darin, mit seiner Feldgleichung ein zeitlich unveränderliches Universum beschreiben zu können. Das erreichte er durch das Ergänzen des berühmten Lambda-Terms. Eigentlich hatte er den Term zunächst in die newtonschen Theorie eingefügt, um seine Bedeutung anhand der Poisson-Gleichung zu erklären. Doch als sich in den 1920er Jahren auf Grund von Beobachtungen die Einsicht durchsetzte, dass sich das Universum tatsächlich ausdehnt, schien die kosmologische Konstante überflüssig geworden zu sein. Wie schon häufig berichtet, wurde Lambda viel später – im Jahr 1998 – wieder eine unverzichtbare Zutat zum Standardmodell, um die beschleunigte Expansion beschreiben zu können. Im Folgenden werden wir jedoch sehen, dass Lambda kein willkürlicher Zusatzparameter ist, sondern vielmehr eine natürliche Eigenschaft der Gravitation ausdrückt.

Theorem von Lovelock

In den 1970er Jahren konnte der britische Mathematiker und Physiker David Lovelock eine Aussage mathematisch beweisen, die sich etwas vereinfacht so formulieren lässt: Jede metrische Gravitationstheorie in vier Dimensionen muss unter sehr allgemeinen Annahmen so aussehen wie die einsteinsche allgemeine Relativitätstheorie – und zwar einschließlich der kosmologischen Konstante. Die allgemeine Relativitätstheorie erwies sich damit nicht nur als irgendeine von vielen möglichen Gravitationstheorien, sondern unter weitreichenden Annahmen als die einzige mögliche. Oft wird behauptet, Einstein habe die kosmologische Konstante als »die größte Eselei« (englisch: the greatest blunder) seines Lebens bezeichnet, und sie sei daher eine stümperhafte und unbegründete Erweiterung der Theorie, die fallen gelassen werden müsse.

Auch diese Behauptung ist in ihrem ersten Teil vermutlich, in ihrem zweiten Teil mit Sicherheit vollkommen falsch. Das Zitat lässt sich in Einsteins Schriften nirgendwo finden, auch in seinen Briefen nicht. Es wurde ihm durch George Gamow in dessen Autobiografie zugeschrieben, ohne dass der Wahrheitsgehalt dieser Zuschreibung überprüfbar würde. Durch Lovelocks Erkenntnis erwies sich die kosmologische Konstante im Gegenteil als mathematische Notwendigkeit: Ohne sie wäre die allgemeine Relativitätstheorie unvollständig. Im einfachsten Fall hat die Schwerkraft einen anziehenden und einen abstoßenden Anteil. Die Kopplungskonstante des anziehenden Teils ist die newtonsche Gravitationskonstante, diejenige des abstoßenden Teils die kosmologische Konstante, wie Lovelock bewies. Er identifiziert den Lambda-Term in Einsteins Feldgleichung als natürliche Notwendigkeit, die der Natur der Gravitation innewohnt.

Enge Spielräume

Alternativen zur allgemeinen Relativitätstheorie kommen an Lovelocks Aussage nicht vorbei. Lässt man sich auf die Annahmen ein, die dieser Aussage zu Grunde liegen, gelangt man notwendigerweise zur allgemeinen Relativitätstheorie. Man muss also mindestens eine dieser Annahmen aufgeben, um Gravitationstheorien jenseits der allgemeinen Relativitätstheorie konstruieren zu können.

Konkret bedeutet das, dass man entweder (a) über die vier Dimensionen von Raum und Zeit hinausgehen und zusätzliche Raumdimensionen einführen muss, dass man (b) zur Beschreibung der Gravitation nicht nur eine Metrik, sondern weitere physikalische Felder einführen muss oder dass man (c) Gravitation nicht allein durch das Gezeitenfeld beschreiben darf, das die relative Beschleunigung frei fallender Beobachter angibt. Möglichkeit (c) bedeutet mathematisch, dass man höhere als zweite Ableitungen der Metrik einbeziehen muss. In allen drei Richtungen wird intensiv geforscht. Im Folgenden möchten wir die wichtigsten Alternativen kurz vorstellen, die über Einsteins Gravitation hinausgehen. Außerdem kommentieren wir, ob sich diese Neulinge in irgendeiner Form bewährt haben.

Mehr Raum in der Stringtheorie

Die durch (a) vorgegebene Richtung ist besonders fraglich, weil es auf mehr als die drei räumlichen und die eine zeitliche Dimension, die wir kennen, keinerlei Hinweise gibt. Schon in den frühen 1920er Jahren entwickelten Theodor Kaluza (1885–1954) und Oskar Klein (1894–1977) eine neue 5-D-Feldthorie, die heute als Kaluza-Klein-Theorie bekannt ist. Sie ist eine klassische Feldtheorie, in die noch keine Gesetze der Quantenphysik einfließen. Ziel der Theoretiker war es, die Gravitation mit der elektromagnetischen Kraft zu vereinigen. Aber warum bekämen wir von einer 5. Dimension im Alltag nichts mit? Klein hatte dafür eine findige Erklärung: Die Zusatzdimension sei auf kleinste Längenskalen zusammengerollt, kompaktifiziert, wie der Fachbegriff dafür lautet. Die Kaluza-Klein-Theorie wurde zunächst gefeiert, aber sie lässt sich nicht quantisieren – die Idee der Kompaktifizierung hat sich jedoch als interessant erwiesen.

In den 1960er Jahren erlebte die Kompaktifizierung eine Renaissance in den Stringtheorien. Die Vielfalt der Teilchen wird in dieser modernen quantisierten Feldtheorie mit schwingenden Fäden (Strings) und Membranen (Branes) beschrieben. Zunächst wurde eine bosonische Stringtheorie entwickelt, um die starke Kraft, welche unter anderem Quarks im Inneren von Kernteilchen zusammenhält, zu beschreiben. In dieser Theorie stießen die Forschenden jedoch auf Spin-2-Teilchen (siehe »Spin, Fermionen und Bosonen«). Man hatte sie schon lange als Kandidaten für die Wechselwirkungsteilchen der Gravitation im Visier und war nun in der Stringtheorie darauf gestoßen. Waren das die Gravitonen?

Die moderne Feldtheorie gewann schnell Zulauf und viele neue Varianten wurden ausgearbeitet. Mitte der 1990er Jahre lagen eine bosonische Stringtheorie mit 26 Dimensionen und fünf weitere 10-dimensionale Stringtheorien vor. Eignet sich eine von ihnen als Theorie der Quantengravitation? Als revolutionäre Entdeckung wurden in den 1990er Jahren die Dualitäten gefeiert. Dahinter verbergen sich mathematische Beziehungen, die verschiedene Theorien als verschiedene Aspekte derselben übergeordneten Theorie identifizieren: der M-Theorie. Bis heute ist die Rolle der M-Theorie für die empirische Gravitationsforschung unklar. Fakt ist, dass es trotz zahlreicher gezielter Experimente keine Hinweise auf räumliche Extradimensionen in der Natur gibt.

Gravitation mit neuen Feldern

Die oben erwähnten Optionen (b) und (c) haben zu unübersichtlich vielen verschiedenen Gravitationstheorien geführt, die in ihren allgemeinsten Formen zum Teil auf sehr komplizierte Gleichungen führen. Die möglichen Erweiterungen der einsteinschen Theorie durch zusätzliche Felder wurden systematisch und vollständig untersucht. Sie führen auf eine große Anzahl zusätzlicher Ausdrücke in den Grundgleichungen der Gravitation, bei denen aber sorgfältig vermieden werden muss, dass sie Auswirkungen auf solche Beobachtungen haben, durch die die allgemeine Relativitätstheorie bereits bestätigt wurde.

Es ist also ein schmaler Grat, denn die Bewegungen der Planeten im Sonnensystem, die Änderung des Uhrengangs im Gravitationsfeld, aber auch die Umlaufbewegungen von kompakten Objekten umeinander dürfen sich durch keinen dieser zusätzlichen Ausdrücke so weit ändern, dass sie die Grenzen der teils extrem hohen Messgenauigkeit überschreiten würden. Hier möchten wir exemplarisch drei Alternativen erwähnen: die Brans-Dicke-Theorie, f(R)-Gravitation und Tensor-Vektor-Skalar-Theorien (TeVeS). Die Brans-Dicke-Theorie gehört zur Klasse der Skalar-Tensor-Theorien. Im Unterschied zur Feldgleichung der allgemeinen Relativitätstheorie tritt hier ein neues Skalarfeld auf (siehe »Skalar-, Vektor- und Tensorfelder«).

Skalar-, Vektor- und Tensorfelder

Für diese drei mathematischen Objekte gibt es strenge Definitionen. Uns geht es nur darum, eine grobe Vorstellung zu geben, wovon hier die Rede ist. Ein Skalar ist eine Zahl. Ein Skalarfeld ordnet jedem Punkt in Raum und Zeit eine Zahl zu. Ein einfaches Beispiel ist eine Temperaturverteilung in einem Zimmer: In jedem Raumpunkt herrscht eine bestimmte Temperatur, angegeben durch eine Zahl (Skalar). Ein Vektor ist eine Größe mit Betrag und Richtung, die man durch Pfeile symbolisieren kann – sie sind in der Mathematik noch allgemeiner definiert. Ein anschauliches Beispiel für ein Vektorfeld ist die Geschwindigkeitsverteilung einer Luftströmung an jedem Raumpunkt in dem Zimmer. Das sind insgesamt drei Zahlen: x-, y- und z-Komponente der Geschwindigkeit. Ein Tensor hat entsprechend noch mehr Freiheitsgrade. Beispiele für Tensorfelder sind die Metrik und die Krümmung. Derartige Tensorfelder sind durch deutlich mehr Zahlen an jedem Raumpunkt festgelegt.

Die Brans-Dicke-Theorie ist damit eine erweiterte Variante der einsteinschen Theorie, die in sie übergeht, wenn man einfach das Skalarfeld unendlich träge macht. Historisch war die Brans-Dicke-Theorie dadurch motiviert, dass in ihr die Kopplungsstärke an die Gravitation variabel ist. Damit wird die newtonsche Gravitationskonstante veränderlich. In der newtonschen und einsteinschen Gravitation ist GN eine Konstante.

Unter dem Begriff f(R)-Gravitation laufen Gravitationstheorien, bei denen der Ricci-Skalar R in der Einstein-Hilbert-Wirkung durch eine allgemeine Funktion von R, kurz f(R), ersetzt wird. Die Symbolik f(R) meint beispielsweise Terme der Form R2 oder R4. Auch hier sind die Spielräume begrenzt, weil derartige Erweiterungen nicht auf zu große Abweichungen zur gut getesteten einsteinschen Gravitation führen dürfen. Historisch motiviert war die f(R)-Gravitation dadurch, dass sie in der Kosmologie zu Phasen beschleunigter Ausdehnung führen kann. Als ein Wegbereiter der f(R)-Gravitation ist der Theoretiker Alexei Starobinski zu nennen, der damit die frühe kosmische Ausdehnungsphase der Inflation beschreiben wollte. Die f(R)-Gravitation scheint auch vielversprechend zu sein, um die beschleunigte Ausdehnung des Universums zu beschreiben – allerdings ohne Dunkle Energie. Setzt man f(R) = R, geht die Theorie in die gewöhnliche allgemeine Relativitätstheorie über. Die kosmologische Konstante und Beobachtungen zeigen, dass Gravitation auf großen Skalen abstoßend wird. Das kann man erreichen, indem man R durch (R + ε/R) ersetzt – wobei ε eine dimensionslose Zahl viel kleiner als 1 symbolisiert –, denn dann bekommt die Wirkung einen Anteil, der mit zunehmender Krümmung kleiner wird. Er vertritt dann den abstoßenden Anteil.

Die TeVeS-Theorien treiben dieses Spiel mit Erweiterungen der Feldgleichung noch weiter, indem sie nicht nur zusätzliche Skalarfelder (»S«), sondern auch Vektorfelder (»Ve«) oder sogar weitere Tensorfelder (»Te«) enthalten. Solche Theorien kommen vielleicht ohne Dunkle Materie aus, aber man bekommt es eben mit Zusatzfeldern zu tun, die physikalisch interpretiert werden müssen: Man vermeidet Dunkle Materie, handelt sich dafür jedoch mindestens eine neue Substanz ein.

Der Physiker Jakob Bekenstein hatte TeVeS im Jahr 2004 eingeführt. Auch hier gilt, dass sich TeVeS an den astronomischen Beobachtungen messen muss und sich die Erweiterung nicht zu weit von Einsteins getesteter Gravitation entfernen darf. Ursprünglich wurde im Jahr 1983 von dem israelischen Physiker Mordehai Milgrom eine Theorie namens MOND ersonnen, was für MOdified Newtonian Dynamics steht. Bei dieser nichtrelativistischen Erweiterung der newtonschen Gravitation ändert sich beim Überschreiten eines bestimmten Schwellwerts bei der Beschleunigung die Gravitationskraft. Tatsächlich konnte man mit MOND die beobachteten hohen Rotationsgeschwindigkeiten von Sternen um die Zentren von Spiralgalaxien beschreiben. TeVeS ist die relativistische Verallgemeinerung von MOND und wird nach wie vor kontrovers in der Gravitationsforschung diskutiert.

Für alle Theorien mit zusätzlichen Feldern gilt, dass es schon gute Gründe geben muss, sie zu etablieren, zum Beispiel, weil sie ein Naturphänomen gut erklären können. Ansonsten kommt Ockhams Rasiermesser zum Einsatz: Einer einfacheren Theorie ohne Zusätze ist der Vorzug zu geben, wenn sie denn sämtliche Beobachtungen, Experimente und bekannte Sachverhalte gut erklärt. Benannt ist dieses Entscheidungsprinzip nach dem mittelalterlichen Philosophen und Theologen William of Ockham (1288 – 1347).

Lovelock sagt, dass man den Feldinhalt erweitern muss, wenn man zusätzliche Raumdimensionen vermeiden will. Das kann man auf dreierlei Weise tun, nämlich durch Skalar-, Vektor oder Tensorfelder. Wie das allgemein geschehen kann, wurde vollständig beschrieben – unter anderem von Lavinia Heisenberg. Beobachtungen setzen bereits enge Grenzen, von Gravitationswellensignalen werden noch engere erwartet. Wirklich ausgeschlossen sind solche Theorien noch nicht.

Quantisierung der Gravitation

Wir hatten bereits die Stringtheorie erwähnt, die den Anspruch erhebt, alle Fundamentalkräfte in der Natur in einer Theorie zu beschreiben. Sie bringt ein Spin-2-Teilchen hervor, das gesuchte Eichboson der Schwerkraft. Allerdings ist dieses Graviton nach wie vor eine Hypothese.

Es gibt aber noch einen anderen Weg: Die Theoretiker Amitaba Sen und Abhay Ashtekar fingen in den 1980er Jahren an, eine ganz andere Art von Quantengravitation zu formulieren. Wichtige Beiträge dazu kamen auch von Roger Penrose, Lee Smolin und Carlo Rovelli. Ziel war es dabei, eine Quantenversion der einsteinschen Feldgleichung zu finden. Sie begründeten die Loop- oder Schleifenquantengravitation, bei der die kontinuierliche Raumzeit der Relativitätstheorie in eine körnige, diskrete Raumzeit übergeht (siehe »Gekörnte Welt«). Die Quantisierung macht sich erst auf der Planck-Skala bemerkbar. Nach der Loop-Quantengravitation besteht ein Kubikzentimeter aus (1033)3 = 1099 »Raumzeitatomen«: Man teilt einfach die Kantenlänge des Würfels durch die Planck-Länge und potenziert mit 3, weil man das Volumen betrachtet. Diese hypothetische Quantisierung der Raumzeit ist aberwitzig klein und die Körnung der Raumzeit entsprechend fein. Zum Vergleich: In demselben Volumen von gewöhnlicher Materie gibt es rund 6 3 1023 Teilchen (Avogadro-Konstante); das sichtbare Universum enthält ungefähr 1022 Sterne.

Es würde zu weit führen, die vielen Details der Theorie in diesem Artikel auszubreiten. Wir verweisen auf die Weblinks in den Literaturhinweisen. Wichtig ist zu erwähnen, dass es die Loop-Quantengravitation leistet, die Singularitäten der einsteinschen Gravitation zu vermeiden. Das zeigen Berechnungen von Gravitationskollapsen, die auf dieser quantisierten Gravitation basieren. Gewissermaßen wehrt sich die Raumzeit beim Zusammenquetschen gegen den Kollaps und erzeugt eine Art Gegendruck, der den Kollaps aufhält. Zu den weiteren Errungenschaften der Schleifenquantengravitation zählt, dass es gelingt, mit ihr die aus der Thermodynamik bekannte Entropie Schwarzer Löcher – die Bekenstein-Hawking-Entropie – unabhängig zu reproduzieren. Zu den schwerwiegenden Prognosen der Loop-Quantengravitation gehört, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht mehr – wie bei Einstein – universell ist, sondern ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit von der Farbe abhängt. Das ließe sich testen, zum Beispiel bei Gammastrahlenausbrüchen, was auch bereits probiert wurde. Bislang wurde das jedoch noch nicht widerlegt.

Ein wesentliches Hindernis bei der quantentheoretischen Behandlung der Gravitation ist, dass sie sich prinzipiell der üblichen Vorgehensweise widersetzt, sie anhand kleiner, aufsummierter Störungen zu beschreiben. Der Vollständigkeit halber erwähnen wir hier ein Programm, das aus recht technischen Gründen als »asymptotische Sicherheit« bezeichnet wird. Es könnte zu einer Quantisierung der Gravitation im gewohnten Rahmen der Quantenfeldtheorien führen.

Spreu vom Weizen trennen

Eine Beobachtung, die besonders vielen möglichen Erweiterungen der allgemeinen Relativitätstheorie den Garaus bereitete, war diejenige, die bestätigte, dass sich Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Der experimentell abgesteckte Rahmen lässt relative Abweichungen von der Lichtgeschwindigkeit von Dc/c 10–15 zu. Daran scheitern viele mögliche Erweiterungen der allgemeinen Relativitätstheorie. Mögliche Unterschiede zwischen den Ausbreitungsgeschwindigkeiten von elektromagnetischen Wellen und Gravitationswellen wurden durch diese eine Beobachtung auf das 10–15-Fache der Lichtgeschwindigkeit begrenzt. Auch dadurch wurde die Vielfalt möglicher Erweiterungen der allgemeinen Relativitätstheorie eng begrenzt.

Im Rahmen derart starker Beschränkungen, die inzwischen durch die Beobachtungen gesteckt werden, geht die Forschung weiter. Dabei geht es vor allem darum, solche Theorien zu identifizieren, die einerseits nicht im Widerspruch zu gesicherten Beobachtungen stehen, die aber andererseits Phänomene vorhersagen, die bald in den Bereich möglicher Beobachtungen geraten könnten oder dürften. Große Hoffnungen werden dabei vor allem auf die Gravitationswellenastronomie gesetzt (siehe »Gravitationswellen von Schwarzen Löchern«). Seitdem zum ersten Mal ein Gravitationswellensignal direkt aufgezeichnet werden konnte, das bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher entstand, hat sich die Gravitationswellenastronomie sehr schnell entwickelt. Zwei Arten von Gravitationswellensignalen könnten dabei besonders interessant sein: solche, die durch Einzelereignisse, wie die Verschmelzung kompakter Objekte, ausgelöst werden, und solche, die im jungen Universum entstanden und eine Art der Hintergrundstrahlung bilden, die dem kosmischen Mikrowellenhintergrund entfernt ähnelt.

Wo stehen wir?

Seit Jahrzehnten ist unklar, in welche Stoßrichtung man über Einsteins Jahrhundertwerk hinausgehen sollte. Es gab zwar wichtige neue Impulse aus Experimenten und astronomischen Beobachtungen, jedoch wird die allgemeine Relativitätstheorie immer wieder bravourös empirisch bestätigt. Die räumlichen Extradimensionen der Stringtheorie entziehen sich hartnäckig einem Nachweis. Die quantisierte Raumzeit der Schleifenquantengravitation würde das Ausbilden von Krümmungssingularitäten verhindern. Das klingt vielversprechend, sind die Unendlichkeiten einigen Forschenden doch ein Dorn im Auge. Nun sind jedoch die mit LIGO & Co direkt messbaren Gravitationswellen konsistent mit einem singulären Schwarzen Loch. Müssen wir überhaupt über Einstein hinausgehen?

Es wäre schon seltsam, wenn sämtliche Naturkräfte des Standardmodells der Teilchenphysik – starke, schwache und elektromagnetische Wechselwirkung – quantisiert sind, aber einzig und allein die Schwerkraft durch eine klassische, unquantisierte Feldtheorie zu beschreiben wäre. Nach wie vor ist unklar, ob die mysteriösen dunklen Komponenten des Universums ein Wink mit dem Zaunpfahl sind, dass wir in unserem Verständnis der Welt irgendwo falsch abgebogen sind.

Die Hoffnung ruht also auch im dritten Jahrtausend der Menschheit auf zwei Dingen: auf neuen cleveren Experimenten und Beobachtungen, die uns einen entscheidenden Hinweis auf die richtige Stoßrichtung in der Forschung geben, und auf dem Geist einer Person, die wie damals Albert Einstein einen revolutionären neuen theoretischen Ansatz wagt und gewinnt.

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